ANNE-KATRIN ALTWEIN

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Kuenstler-Text zum Katalog Burgschueler in MV anlaesslich Die Burg wird 100

Ausstellung im Rothener Hof 31.5.-31.7.2015 in Rothen/ MV

Ivenack im März 2015

Wir leben seit vier Jahren in Ivenack in Mecklenburg - und haben es noch keine Sekunde bereut.

Die Menschen nahmen uns ueberaus freundlich auf.  Wir wurden sogar schon im Ort erwartet.  Dass „Kuenstler“ kommen, hatte sich bereits herumgesprochen und die Anwohner hatten ueber uns zuvor im Internet recherchiert.
Absolventen der Burg erfahren hier eine hohe Wertschaetzung.

Die Ivenacker Eichen, Park und Schloss waren nie direkt von den Einwohnern verwaltet worden, deshalb gibt es einen gewissen Stolz, wenn einmal auch aus eigener Kraft – das meint, ohne Wirken von Institutionen - ueberregionale Besonderheiten fuer alle sichtbar in den Raum gestellt werden; auch unsere Marmorskulpturen seien hier eine Attraktion, wie es heißt.

In Mecklenburg schien es moeglich, ein Atelier ganz nach persoenlichen Beduerfnissen zu bekommen. Meine Suche hatte unterschiedliche Anliegen miteinander verknuepft: irgendwann wollte ich an einem See leben, nach meinen Erfahrungen in der Cité Internationale des Arts Paris wollte ich gern ein aehnlich großes ebenerdiges Atelier und um mich herum eine wohl klingende Sprache; in Weimar hatte ich ein Atelier im Haus Altenburg, in dem Franz Liszt ab 1848 wirkte, und eine kostenlos nutzbare Freiflaeche für Gross-Skulpturen im Steinbruch Ehringsdorf, und als ab 2008 das Klima in Weimar und Thüringen m. E. nicht mehr so kunstfreundlich war (zeitweilig keine Wettbewerbe), suchte und fand ich zur Erfuellung all dieser Wuensche in Ivenack ein passendes Objekt.

Das Land MV sieht sich als Provinz, weshalb auch die Kunst haeufig als l‘art de la province wahrgenommen - und entsprechend als „provinziell“ angesehen wird. Gemessen an dem, was ich an internationaler Kunst und Kuenstlern im In- und Ausland sah, ist eine scheue Haltung des Landes seinen Kuenstlern gegenüber ueberhaupt nicht gerechtfertigt und der ganze Stolz von MV koennte (einmal abgesehen von wunderschoenen Alleen und breiten Erntemaschinen) seine Kuenstlerdichte mit doch irgendwie eindringlicher Qualitaet und ueberraschendem Esprit sein.

Im Gegensatz zu Thueringen (wo bis 2002 um die 90 Wettbewerbe zu Kunst im oeffentlichen Raum stattfanden, in Sachsen bis zu 50, in Berlin und in Hessen nur 2, MV war in dieser Studie nicht angefuehrt) faellt mir in MV nicht auf, dass Kunst als solche gefoerdert wird, dass die Lebens-und Arbeitsbedingungen von Kuenstlern sonderlich Beachtung finden oder sogar noch, wie beispielsweise die Landwirtschaft oder Museen, irgendwie geschaetzt und beguenstigt werden. Die Kreativ-Wirtschaft ist, was ihren Anteil am BIP ausmacht, an Stelle 2, also nach der Chemie- und noch vor der Autoindustrie, so las ich. In diesem Sinne sehe ich, was Kuenstler und Kunst als Teil von Kreativ-Wirtschaft betrifft, ungeahntes Potential, was jedoch voraussetzt, dass Lebenszeit und Lebensleistungen Talentierter nicht mehr zu falschen Dingen ge- und missbraucht werden.

Kann man jungen Kuenstlern empfehlen, nach MV zu ziehen?, wurde ich juengst gefragt. Mit genuegend eigenem Antrieb, einem klaren Willen, was man tun moechte, einem Hintergrund, der das Finanzielle mit langen Durststrecken ermoeglicht, laesst sich hier Grosses tun. Immer aber nur, wenn man ansieht und begreift, dass Kunst eine notwendige Lebensentaeusserung, ein urtuemliches Beduerfnis, etwas menschlich Immanentes darstellt.


Dazu schreibt David Mamet*:

"… Kuenstler fragen sich nicht „Wozu ist Kunst gut?“. Es treibt sie nicht, „Kunst zu schaffen“ oder „Menschen zu helfen“ oder „Geld zu machen“. Es treibt sie, die Last der unertraeglichen Disparitaet zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten zu mindern und so Frieden zu erringen… Sie und ich wollen von der Kunst Frieden. Kuenstler nehmen sich nicht vor, dem Publikum oder sonstwem irgend etwas zu bieten. Sie setzen es sich zum Ziel, ein schreiendes Ungleichgewicht aufzuheben… Kunst, die existiert, um Frieden zu bringen, wird zum Entertainment, das existiert, um zu zerstreuen, und wird zum Totalitarismus, der existiert, um zu zensieren und zu kontrollieren. Das Verlangen, sich auszudruecken, wird – nach Abgang des Kuenstlers und angesichts des Schrecklichen – zum Beduerfnis zu unterdruecken. Das „Informationszeitalter“ ist – vom Volk mittels des kollektiven Unbewussten geschaffen – ein Instrument der Unterdrueckung, ein Mechanismus, der uns die Ablenkung von der Erkenntnis unserer eigenen Wertlosigkeit bietet… Wir koennen gar nicht genug verspielen, um Frieden zu finden, gar nicht genug essen, um schlank zu werden, uns nicht genug bewaffnen und aufmarschieren, um uns sicher zu fuehlen…"


*(David Mamet, Schriftsteller und Regisseur. Alexander Verlag Berlin 1998. Vom dreifachen Gebrauch des Messers. Über Wesen und Zweck des Dramas, S. 80 ff.)

Anne-Katrin Altwein

 

Aktualisiert: Anne-Katrin Altwein, 16 April, 2012